Kontrollverlust –
Theater, das unter die Haut geht

Eigentlich hätte das Stück bereits Anfang Juli gespielt werden sollen, die Theatergruppe hatte die Aufführungen aber kurzfristig absagen müssen, weil zwei Darstellerinnen erkrankt waren. Kurz vor den Sommerferien sorgte dies für große Frustration bei allen Beteiligten, zumal in den vergangenen Jahren hintereinander zwei begonnene Produktionen pandemiebedingt abgebrochen werden mussten. Diesmal weigerte sich die Gruppe zu resignieren und entschloss sich, Anfang Oktober einen neuen Anlauf zu wagen. Zwei Darsteller aus der ehemaligen Q12, Mattes Apelt und Julian Ziegler, welche die Schule bereits verlassen haben, versprachen dennoch dabei zu sein. Nur für eine Rolle musste mit Josefine Kunz eine neue Darstellerin gefunden werden.

Der Inhalt des Stücks ist schnell erzählt: Eine Gruppe Jugendlicher steigt in eine alte Fabrik ein, um dort zu feiern. Da der angekündigte DJ, der auch die Musikanlage mitbringen soll, nicht erscheint, vertreiben sich die Jugendlichen die Zeit mit Trinken und Spielen. Dabei geht es zunehmend darum, sich gegenseitig zu demütigen. Die Hemmungen sinken immer mehr, Grenzen werden überschritten. Lara, die Außenseiterin, wird schließlich mit KO-Tropfen bewusstlos gemacht und von allen anderen kollektiv misshandelt. Als sie nicht mehr aufwacht, müssen sich die Einzelnen positionieren und Verantwortung übernehmen.

„Kontrollverlust“ ist in der Spielzeit 2006/2007 vom Jugendclub des Theaters GRIPS in Berlin unter der Leitung von Philipp Harpain entwickelt worden. Es ist aus der Wechselwirkung Diskussionen-Improvisationen-Konstruktionen entstanden und von Susanne Lipp geschrieben worden. Begleitet wurde die Theaterarbeit durch zahlreiche Recherchen zu Jugendgewalt, Mobbing und Gruppenzwang sowie Gesprächen mit Psychologen, Rechtsanwälten und Betroffenen. Da es sich um eine Jugendclubproduktion handelt, gibt es keine Haupt- und Nebenrollen. Die Figuren stehen relativ gleichberechtigt nebeneinander.

Das Einstudieren eines neuen Stücks im Schultheater gleicht immer einer Reise ins Unbekannte. Obwohl es den jugendlichen Darstellerinnen und Darstellern nicht schwerfiel, sich mit den etwa gleichaltrigen Figuren zu identifizieren, verlangte ihnen „Kontrollverlust“ dennoch Einiges ab. Während des Probenprozesses wurde erst nach und nach die Ambivalenz der einzelnen Charaktere und die Härte der Eskalation klar. In diesem Bewusstsein gelang den Mitgliedern der Theatergruppe eine überaus eindrückliche und stellenweise beängstigend realistische Darstellung. Gleichzeitig schafften sie es, die sehr unterschiedlichen Typen von der ängstlichen Francesca über die nachdenkliche Anna bis hin zur großmäuligen Kim sehr klar herauszuarbeiten. Bemerkenswert ist auch, dass die Spannung über die gesamte Spieldauer von 75 Minuten, während der sich alle der 14 Darstellerinnen und Darsteller fast immer auf der Bühne befanden, niemals abriss.